Resettlement und Relocation - Spielraum für Irritationen und Interpretationen
(Pfaffenhofen, rt)Ist für die Grünen im Bundestag: Entwicklungspolitik-Experte Kekeritz, will für die Grünen in den Bundestag: Kreisvorsitzende Schnapp.
Für Irritationen sorgt nicht nur das erst kürzlich vorgestellte Wahlprogramm der CDU/CSU, wenn es um die vielschichtigen Fragen der Migration geht. Auch die nationale und internationale Politik wandelt dabei auf verschlungenen Pfaden. Das jedenfalls kam heraus bei der öffentlichen Diskussionsrunde der Pfaffenhofener Grünen, deren Kreisvorsitzende und Bundestagskandidatin für den Wahlkreis 214, Kerstin Schnapp, zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten und Sprecher für Entwicklungspolitik der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, Uwe Kekeritz, im hiesigen Grünen-Büro gestern bestritt.
„Fluchtursachen wirksam bekämpfen“ – das gewählte Thema offenbarte bei näherer Betrachtung schier unglaubliche Strukturen, die dazu führen, dass sich quasi weltweit Menschenmassen in Bewegung setzen und ihr Heimatland aus unterschiedlichen Beweggründen verlassen. Schnapp sieht dabei vor allem ein rücksichtsloses Wirtschaften aber auch kriegerische Auseinandersetzungen oder den Klimawandel als die Hauptursachen dafür. Deutschland und Europa trügen dafür eine besondere Verantwortung. Die Grünen hätten allerdings bereits seit ihrer Gründung gefordert, gegen die Fluchtursachen anzukämpfen. „Wirtschaftsflüchtlinge fliehen vor unserer Art zu wirtschaften“, so Schnapp. Insofern müssen man an diesem Wirtschaften etwas ändern.
Zu den Fluchtursachen führte Kekeritz neben Klimaänderung und Kriegen, Korruption und Unterdrückung an, soziale Ungleichheit und ungerechte Verteilung, falsche Agrar- und Fischereipolitik, fehlgeleitete Steuer- und Finanzpolitik, ungerechte Handelspolitik samt wirtschaftliche Ausbeutung und schließlich Waffenexporte.
Die Bundesregierung, so Kekeritz, verstehe unter der Bekämpfung von Fluchtursachen die Verlagerung der Grenzen von Europa nach Afrika und dort südlich der Sahara. „Und damit das auch funktioniert mit diesen Grenzen, gehen sie Kooperationen ein, ganz massiv.“ Es spiele überhaupt keine Rolle mehr, dass diese Diktatoren vor Ort wegen Mordes steckbrieflich gesucht würden. Mit der Unterstützung, unter anderem mit militärischen Mitteln, dieser Diktatoren verstärke man die Fluchtursachen und ihre Position. „Ich habe keine Angst vor Flüchtlingen, ich habe Angst vor Regierungen, die das Völkerrecht einfach missachten“, so der Grünen-Abgeordnete.
Korruption und Freihandelsabkommen haben unmittelbare Auswirkungen auf Flüchtlingsbewegungen, meint Abgeordneter Kekeritz.
Die großen Acht
Neuerdings wisse man, dass Änderung des Klimas ein Großteil der weltweiten Fluchtbewegungen zur Ursache habe. Kekeritz sprach dabei von einem Anteil von 85 bis vermutlich fast 90 Prozent, der dann jedoch nicht nach Europa strebe, sondern heimatnah in der Region bleibe.
In Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen verglich Kekeritz die Bundesrepublik mit dem Libanon, ein bettelarmes Land, wie er bemerkte: „Deutschland alleine braucht hier nicht das Opfer zu spielen“. Während Deutschland gemessen an seiner Bevölkerung 1,4 Prozent Flüchtlinge aufgenommen habe, seien es dort 50 Prozent. „Können wir uns das tatsächlich erlauben, so zu reagieren, wie wir zur Zeit reagieren, dass wir die Schotten absolut dicht machen?“
Um die globale Ungleichheit zu verstehen, müssen man wissen, dass „im Jahr 2000 380 Menschen so viel an Eigentum besessen haben, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Im Jahr 2016 sind es acht. Das ist die allererste Ursache für die Ungerechtigkeit auf dieser Welt.“ Diese Leute lenkten die Handelsströme und Investitionen auf dieser Welt. „Die nehmen damit Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen“, sagte der Grünenpolitiker. Deren permanenter Ausbau ihres Kapitalstockes führe zu „undemokratischen Situationen“.
Korruption und Steuervermeidung
Weiters fresse Korruption gesellschaftliche Strukturen auf: „Unser Finanz- und Steuersystem begünstigt Korruption in vielen, eigentlich allen Ländern extrem.“ Wegkommen müsse man auch von der subventionierten industriellen Landwirtschaft, die die Märkte in Entwicklungsländern mit billigen Produkten fluteten und damit zu existentiellen Krisen bei den dortigen Bauern führten. International tätige Konzerne hätten die Steuervermeidung zu einem nicht unwesentlichen Teil ihres Geschäftsmodells gemacht. Kekeritz gab außerdem zu bedenken, dass mit dem Abbau von „Handelshemmnissen“ sowie dem Glauben an freie Märkte und die damit verbundene Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik zumeist auf Rechnung des Sozialstaates gingen. Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und TISA sieht Kekeritz äußerst kritisch, da damit die Entwicklungsländer seiner Ansicht nach auf der Seite der Verlierer stehen. Ähnlich verhalte es sich mit den sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.
Wahlprogramm der CDU/CSU sorgt für Irritationen
In der anschließenden Diskussion kam auch das jüngst beschlossene Wahlprogramm „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ von CDU und CSU zur Sprache. Darin heißt es unter anderem unter dem Punkt Menschen in Not helfen, Migration steuern und reduzieren, abgelehnte Bewerber konsequent zurückführen: „Eine Situation wie im Jahre 2015 soll und darf sich nicht wiederholen, da alle Beteiligten aus dieser Situation gelernt haben. Wir wollen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig bleibt. Das macht es möglich, dass wir unseren humanitären Verpflichtungen durch Resettlement und Relocation nachkommen.“ Das CDU/CSU-Wahlprogramm lässt den Leser zu beiden Anglizismen ratlos zurück. Resettlement wird nach einer UNO-Definition als „dauerhafte Neuansiedlung“ bezeichnet und „Relocation“ bedeutet laut Wörterbuch einen Umzug oder auch eine Umsiedlung. Schnapp bezeichnete die Passage aus dem Programm als schwammige Formulierung „aus der jeder alles herauslesen kann was er möchte.“ An welchem Ort etwa finde das „Resettlement“ statt. „Wenn daraus ordentliche Entwicklungshilfe, saubere Verträge mit Afrika und eine Einschränkung der Klimakrise resultiert, unterschreibe ich das sofort. Auch wir wollen die Flüchtlingszahlen senken soweit es geht“, so Schnapp.
Eine Diskussionsteilnehmerin war der Meinung, dass es sich um ein spezielles Programm handle, wonach quasi handverlesene Menschen unabhängig von den konventionellen Flüchtlingsankünften auf sehr sicheren Wegen, etwa mit dem Flugzeug, aus humanitären Gründen nach Deutschland gebracht würden. Mitunter würden davon nicht einmal die Kommunen etwas erfahren. Auch im Landkreis Pfaffenhofen sollen demnach mehrere davon betroffene Personen leben. Kekeritz dagegen vermutete, dass es sich um Rückführungsprogramme nach Afrika handle und nicht etwa umgekehrt: „Das ist die Botschaft an den Wähler, wir werden die Leute zurückführen.“ Beide Anglizismen bedeuteten für ihn Wiederansiedlung, aus denen man in der Tat vieles herauslesen könne, nur nicht, dass wir die Leute aus Afrika hierherholen. „Ich verwirre doch mit solchen Sätzen die Leute“, stellte Schnapp treffend fest. Die Christsozialen haben vor dem 24. September also noch einige Aufklärungsarbeit gegenüber den Wählern zu leisten.
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