Gewitter im Kopf - Aufklärung tut Not
(Pfaffenhofen, kw)Jedes menschliche Gehirn ist mit 20 Milliarden Nervenzellen versehen. Das optimale Zusammenspiel dieser lässt den Mensch fühlen, sich bewegen, sprechen oder auch Töne wahrnehmen. Eine Überaktivität dieser Nervenzellen kann sich in Form eines epileptischen Anfalls „entladen“ nur einmalig spontan, aber auch regelmäßig immer wieder. „Es kann jeden treffen“ so die Einführung von Dr. Peter Grein (Facharzt für Neurologie an der Ilmtalklinik)zum Vortrag am Dienstagnachmittag.
Epilepsie an für sich ist keine bedrohliche Erkrankung, die Gefahr liegt hier eher in den Folgen der Bewusstseinsstörung durch einen Anfall. Als „Gewitter im Kopf“ wird es oft von den Betroffenen beschrieben. Meist ist eine Epilepsie medikamentös gut behandelbar. „Wichtig ist hier das richtige Medikament und die richtige Dosierung zur Erregungsdämpfung zu finden“, so der Neurologe.
Je nach Areal der vermehrten Aktivität kann sich ein Anfall unterschiedlich zeigen z.B. in Form von zucken, kribbeln oder krampfen. Das kann zwar oft nicht ansprechend anzusehen sein, aber gefährlich ist es nicht. Wichtig ist im Prinzip nur, dass der Betroffene vor Schaden z.B. durch Umfallen, anstoßen oder sonstiges geschützt wird.
Funktionsstörungen durch vermehrte Aktivität der Nervenzellen fallen je nach Ursprung unterschiedlich aus, ist z.B. das vordere Hirn betroffen betrifft es eher die Motorik, seitliche Hirnregionen treffen eher das Sprachzentrum.
Auslöser von epileptischen Anfällen können multifaktoriell oder genetisch bedingt sein. Fieber, Entzündungen, Sauerstoffmangel bei Geburt, Schlaganfall oder Gehirntumor sind Faktoren, die dem Gehirn schaden können und zu einer erhöhten Anfallsbereitschaft führen.
50 Prozent der Menschen, d. h. jeder zwanzigste, also 500.000-600.000 Menschen haben einmal im Leben einen epileptischen Anfall, die aber nicht in einer Epilepsie enden müssen. Ebenso werden bei 50 Prozent der Betroffen keine Ursachen für die Epilepsie gefunden. Eine Epilepsie kann in jedem Alter auftreten, gehäuft kommt sie bei Kindern im Alter bis zum fünften Lebensjahr vor und auch in höherem Alter. Jährlich gibt es etwa 40.000 Neuerkrankungen. Wenn man diese Zahlen liest, ist es ja doch eine sehr häufige Erkrankung, aber leider oft immer noch ein Tabu-Thema in der Bevölkerung.
Die Anfälle treten verschiedenartig auf und haben unterschiedliche Auswirkungen auf den Alltag. Manchmal ist es auch ein längerer Weg bis eine Epilepsie diagnostiziert wird. Bei Schulkindern, die kurzeitige Aussetzer im Unterricht z.B. im Diktat fehlende Wörter haben, blinzeln, starren Blick zeigen, ist dies kaum merkbar. Aber auch intensivere, starke Anfälle mit Schaum vor dem Mund, hinfallen, auf die Zunge beißen usw. sind möglich. Das macht die Diagnosestellung nicht immer einfach.
Ein Krampfanfall dauert meist 1-2 Minuten und kann in eine starke Müdigkeit, aber auch Aggressivität oder Desorientiertheit münden. Die Anfälle können bei ein und der Gleichen Person jedes Mal anders ausfallen, kann auch mit vollem Aufmerksamkeit des Betroffen oder mit Bewusstseinsstörungen auftreten.
Sollte ein Anfall länger als 5 Minuten dauern oder mehrere Anfälle hintereinander ablaufen, soll der Notarzt verständigt werden. Auch bei Verletzungen oder bei nicht regelgerechtem wach werden ist eine ärztliche Versorgung notwendig. Die neurologische Untersuchung erstreckt sich über die Krankengeschichte, Bildgebung des Gehirns (MRT=Magnetresonanztomographie), Hirnstrommessung (EEG=Elektroenzephalografie) und Blut- und Nervenwasseruntersuchung. Auch ein EKG und ein Video-EEG können hinzugezogen werden. EKG (Elektorkardiogramm) kann Herzaussetzer anzeigen, die ähnliche Symptomatik zeigen können.
Bei bestimmten Formen der Epilepsie ist unter medikamentöser Behandlung bei längerer Anfallsfreiheit unter guter ärztlicher Begleitung ein Reduzierungsversuch unter Umständen sogar Absetzen des Medikaments mit weiterer Anfallsfreiheit möglich.
Die Epilepsie wird selten Kombitherapiert, bei 60-70 % der Betroffenen reicht ein Medikament aus, um anfallsfrei ein normales Leben zu führen. „Welches Medikament und welche Dosierung gut ist, muss ausprobiert werden. Es sollen möglichst wenige Nebenwirkungen auftreten“, so Grein. Sollten Nebenwirkungen auftreten, kann es sinnvoll sein auch mehrfach unterschiedliche Medikamente zu versuchen, erklärt der Arzt weiter.
Bei ausgewählten Epilepsieformen kann eine Operation, die man heute früher ansetzt als noch vor einigen Jahren, zu guten Erfolgen führen.
Weitere unterstützende Therapien können Verhaltenstherapie, Psychotherapie und auch eine ketogene Diät sein. Manchmal helfen auch Therapien anfallsunterbrechende Strategien zu finden, wie z.B. bei gefühltem Anfallsbeginn mit einer Faust machen oder bestimmte Musikfolgen den Anfall zu unterbinden.
Leider ist die Folge von Epilepsie heute auch noch immer mit einer sozialen Benachteiligung verbunden. Epileptiker sind häufiger arbeitslos, fahruntauglich, dürfen nicht schwimmen und ziehen sich aus ihrer Umwelt zurück, obwohl dies bei guter medikamentöser Einstellung nicht sein müsste. Hier wollte Dr. Grein ansetzen und mit diesem verständlichen, aufschlussreichen und gut besuchten Vortrag die Integration durch Aufklärung fördern.
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