Wir müssen eine andere Variante der Zusammenarbeit finden
(Pfaffenhofen, hr)Nadja Hirsch (MdEP) und Kreisvorsitzender der FDP Thomas Neudert
Immer wieder steht die Türkei derzeit im Fokus der internationalen Berichterstattung. Die Einschränkung der Grundrechte auf der einen und die Manipulationsvorwürfe auf der anderen Seite sorgen für Empörung und heftige Diskussionen. Seit kurzem sitzt Nadja Hirsch wieder für die FDP im Europäischen Parlament und ist dort unter anderem für die Themen Bürgerrechte und Digitalisierung verantwortlich. Wir haben uns mit ihr getroffen und über die Herausforderungen der Europapolitik gesprochen.
Wie ist der Stand in Sachen EU-Beitritt der Türkei?
Nadja Hirsch: Offiziell haben wir die Verhandlungen mit der Türkei eingefroren, weil es keine Verbesserungen gibt. Der Ausnahmezustand nach dem Putschversuch besteht nach wie vor, die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt, es werden Richter entlassen und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen inhaftiert. Auch das Justizsystem an sich hat sich noch verschlechtert. Obwohl das türkische Verfassungsgericht Klagen von Inhaftierten akzeptiert hat, im Sinne, dass es ist nicht rechtsstaatlich zugegangen ist, ignorieren das andere Gerichte innerhalb der Türkei. Die Justiz ist nicht mehr unabhängig, sondern politisch gesteuert. Das sind keine Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen.
Ihren Ausführungen zufolge kann man von ganz klaren Menschenrechtsverstößen sprechen. Doch insgesamt ist die diplomatische Lage deutlich komplizierter.
Nadja Hirsch: Das ist richtig. Einerseits ist die Türkei Mitglied der Nato und andererseits auch ein wichtiger Partner in der Flüchtlingskrise für die EU. Die Türkei hat sich dazu bereit erklärt die Flüchtlinge auf ihrem Staatsgebiet zu versorgen und so letztlich dazu beizutragen, dass weniger Flüchtlinge in die Europäische Union kommen. Hier wurde auch kürzlich die zweite Rate von rund drei Milliarden Euro bewilligt.
Sehen Sie das nicht kritisch, die Zusammenarbeit mit der Türkei in dieser Frage?
Nadja Hirsch: Man muss hier einfach ehrlich sein. Sowohl die Bundesregierung wie auch die EU hat ein Interesse am Fortbestand dieses Abkommens. Andererseits muss man auch klar sagen, dass man damit bis zu einem gewissen Grad Zugeständnisse an die Türkei macht, die man unter dem Aspekt Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Pressefreiheit sonst deutlicher ansprechen würde.
Das klingt nach einem schwierigen Spagat. Wäre es da nicht sinnvoller die Verhandlungen ganz abzubrechen?
Nadja Hirsch: Die Türkei ist geopolitisch für uns ein wichtiger Partner, eine wichtige Brücke zum Nahen Osten. Es gibt auch viele wirtschaftliche Verbindungen, deswegen tut man sich schwer die Verhandlungen ganz abzubrechen. Andererseits muss man auch bedenken, dass man bei einem Abbruch der Verhandlungen auch den Dialog abbrechen würde. Mittelfristig wird es das Ziel sein müssen, eine andere Variante der Zusammenarbeit zu finden. Ein EU-Beitritt der Türkei ist nicht mehr realistisch.
Generell ist aber nicht nur in der Türkei ein verstärktes Aufkeimen nationalistischer Tendenzen zu erkennen. Auch Polen und Ungarn bewegen sich als Mitglied der EU in diese Richtung. Wie geht man als EU mit diesen Tendenzen um?
Nadja Hirsch: Die Themen beschäftigen uns schon länger. Intensiv wurde es aber mit der polnischen Justizreform. Hier ist die Europäische Gemeinschaft das erste Mal den Weg gegangen, dass sie den Artikel 7 benutzt, also ein Verfahren einleitet, das schlussendlich dazu führen kann, dass Polen das Stimmrecht verliert.
Das klingt erst einmal wenig dramatisch, aber es ist für Polen selbst schon ein großes Thema, vor allem aufgrund des Renommees. Denn als großer Mitgliedsstaat möchte man nicht nur am Tisch sitzen, sondern auch mitgestalten.
Insgesamt sieht man, dass es bei der Diskussion um die Zukunft der EU eine starke Verbindung von Frankreich und Deutschland gibt und dass sich einige der osteuropäischen Länder ein wenig ins Aus geschossen haben. Das hat Polen auch gemerkt. Wenn sie bei der Neugestaltung der Union nicht mitmachen, dann können sie sich nicht einbringen und ihre Interessen werden nicht gehört. Aus diesem Grund gibt es in Polen ein leichtes Umdenken.
Darüber hinaus geht es natürlich auch über den Geldbeutel. Die Auszahlung von EU-Geldern muss zukünftig stärker an Bedingungen geknüpft werden, wie zum Beispiel die Wahrung der Grundrechte. Diese Kopplung gab es bislang nicht.
Das sind aber deutliche Signale, die man hier aus Brüssel an Polen sendet
Nadja Hirsch: Die Europäische Union ist auch eine Werteunion und wir haben gewisse Grundsätze, die auch Polen unterschrieben hat. Insofern ist es wichtig, hier klare Grenzen aufzuzeigen. Andernfalls funktioniert die Gemeinschaft nicht. Man muss nicht nur bei einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik rigoros sein, sondern auch bei Themen, die die Wertebasis der Europäischen Union bilden.
Dann ist man aber effektiv wieder beim Thema einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik.
Nadja Hirsch: Das ist richtig. Aber man darf auch hier die Geschichte nicht ganz vernachlässigen. 2010 habe ich die Überarbeitung der Asylrichtlinie für die EU seitens der liberalen Fraktion mitgestaltet. Damals war dieses Thema nicht so brisant. Wir hatten zwar schon gemeldet bekommen, dass sich größere Menschenmengen auf den Weg machen werden, aber es war noch nicht so akut.
Wir haben aber damals schon gesehen, dass das Dublin-System nicht funktioniert. Das heißt, dass die Flüchtlinge in Malta, Italien, Zypern und Griechenland sitzen und die anderen EU-Staaten das wenig interessiert. Deswegen haben wir uns damals an den Bundesinnenminister Friedrich (CSU) gewandt, mit dem Anliegen für einen europäischen Verteilungsschlüssel zu werben. Die Idee gab es also bereits 2012. Aber die Aussage damals war ebenso deutlich: Deutschland unterstützte das nicht, weil das Dublin-System für Deutschland funktioniert.
Das war keine sehr weitsichtige Politik. Damals wäre die Einführung eines europäischen Verteilungsschlüssels möglich gewesen, jetzt sagen die anderen nein. Insgesamt bin ich überzeugt, dass wir zu einem Verteilungsmechanismus kommen werden.
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