Kommentar: Die Pressefreiheit hat einen neuen Gegner
(Wolnzach, ls)Zum internationalen Tag der Pressefreiheit: Klick mich an, ich hab was zu sagen!
Ein Kommentar von Lisa Schwarzmüller
Schlimm sind sie, die Erdogans, Orbans und Trumps dieser Welt. Das große Wort Pressefreiheit ist in aller Munde seitdem Despotismus wieder salonfähig ist und „Fake News“ Schnappatmung verursachen. Dem Himmel, oder besser der Verfassung sei Dank, dass wir hier im schönen Deutschland pikiert über solch undemokratisches Verhalten unsere Nase rümpfen können.
Doch auch unsere freie Meinungsäußerung hatte ihren Preis. Dass die Finger der Journalisten triefend vor Schlagzeilen über die Tastaturen flitzen dürfen, ist ein Privileg, das Demut einfordert. Denn ein Blick in die Vergangenheit beweist: Man muss nicht ins große Berlin oder ins historische München blicken, wenn man die Auswirkungen von Pressezensur nachvollziehen will.
„Im Dezember 1936 brachte das einstige Heimatblatt, der „Wolnzacher Anzeiger“, die kurze, aber inhaltsschwere Nachricht, dass er auf höhere Anordnung sein Erscheinen einstellen muss. Ein Unmaß von verantwortungsvoller technischer wie geistiger Arbeit, ein Lebenswerk, dass volle 40 Jahre hindurch die Heimatbevölkerung durch alle Fährnisse des Lebens in guten und schlechten Zeiten begleitete, schien mit einem schwarzen Tag das Jahrzehnte alte Werk emsigen Schaffens und Strebens und des ständigen Aufbauens zunichte zu machen. […]
Ohne irgendeiner politischen Partei verpflichtet zu sein, will das Heimatblatt, „der Wolnzacher Anzeiger“, die Interessen aller unserer Mitmenschen unterstützen, sie alle sollen die gesetzlich gewährleistete sinngemäße Freiheit haben, zu ihrem Publikationsrecht und damit im Heimatblatt zu Worte zu kommen.“
Das schrieb die Redaktion des Wolnzacher Anzeigers um Hans Unterleitner und Eduard Kastner jun. in ihrer ersten Ausgabe nach dem zweiten Krieg, die am 2. August 1949 erschien. Eine solche Zensur ist fast 70 Jahre später nahezu undenkbar für uns geworden. Dafür bedroht ein anderer Umstand die freie Meinungsäußerung, und das viel subtiler und vielleicht gefährlicher als ein staatliches „Nein!“. Der Wettbewerb um die Lesergunst.
Denn in dem schier unendlichen Fluss aus kostenlosen Nachrichten diktiert oft das Publikum den flotten Federn der Republik, was in den Online-Portalen und Zeitungen zu lesen ist. Was nicht unterhält, fällt durch. Was nicht schnell mal in der Bahn gesnackt werden kann, wird nicht angeklickt. Analyseprogramme und Facebook-Likes generieren die Inspiration für neue Artikel. Schillert die Nachricht nicht in den buntesten Farben, verliert sie an Relevanz.
Man könnte meinen, das ist die ultimative Demokratie. In der hart umkämpften Welt der Medien schaffen es aber dann eben oft nur verknappte Inhalte und leichte Unterhaltung auf die Smartphone Screens. Der Wettbewerb ist hart, um unabhängige und selbstbestimmte Nachrichten zu verfassen, braucht es fast schon eine kleine Armee von Idealisten, denen es am Ende des Arbeitstages nicht um ihre Kontostände sondern um die Aufklärung ihrer Leser geht. Gerade online wird Journalismus zur Zerreisprobe zwischen öffentlichem Gut und Geschäftsmodell, denn wenn man ehrlich ist, zahlt man für einen Online-Artikel in den seltensten Fällen Geld.
Freie Meinungsäußerung hat eben auch heute noch ihren Preis, nur auf eine andere Art. Denn was bringt die erschütterndste Botschaft, wenn sie am Ende im Buhlen um die Gunst des Lesers in der Bedeutungslosigkeit verschwindet? Die Pressefreiheit kämpft bei uns vielleicht nicht wie im dritten Reich gegen staatliche Oppression, dafür aber gegen den Kapitalismus und den Preiskampf der Verlage und das mit jedem Fetzen Information, das sich findet. Let’s get ready to rumble!
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