Schönen Gruß aus der "Lindenstraße"
(Pfaffenhofen, rs)Der erste Teil gehe nicht bis 21:30, sondern bis 21:23, erwiderte Harry Rowohlt die Ankündigung von Kulturreferent Steffen Kopetzky bei der Begrüßung. "... und es beginne mit der Anschleimphase, bei der man sich freue, in Gießen zu sein.", auch wenn man gerade in Siegen ist. Die Lesung des Übersetzers, Kolumnisten und Schauspielers am Samstagabend im Pfaffenhofener Rathaussaal war schon seit Wochen ausverkauft.
Typ ist er schon, das kann man nicht anders sagen. Mit seinem Rauschebart und seiner signifikanten Stimme, in einem eindeutig Hamburger Slang nimmt er das Publikum sofort in Beschlag. Der Mann hat Routine in der Durchführung derartiger Veranstaltungen, geht zumindest scheinbar spontan auf Reaktionen ein, ist dabei aber ganz offensichtlich auch sehr konzentriert und angespannt, wie der etwas rauhe Umgang mit Fotografen zeigt. "Der Wert einer solchen Lesung ist nicht das Erzählen, sondern das Zuhören." Diese Aussage unterstreicht die Sichtweise des Harry Rowohlt.
Die Stationen seines Lebens wurden alle in irgendeiner Weise beleuchtet: egal ob die Familien väter- wie mütterlicherseits, seine Nerven-Krankheit oder die Alkoholprobleme der Vergangenheit, aber natürlich auch die Schwerpunkte seines beruflichen Schaffens wie die Übersetzungen von Autoren wie Flann O'Brian, Andy Stanton oder Robert Crumb, die Kolumnistentätigkeit bei der "Zeit" oder seine Schauspielrolle als Penner Harry in der "Lindenstraße".
"Terminplanungsjahresübersichtswandkalender" sei ein Wort, das der Duden unbedingt aufnehmen müsse; und: "Silvester ist für Alkoholiker die lange Nacht der Amateure." Gefragt, ob er an einem Seminar zur Technik der Übersetzung von Lyrik teilnehmen wolle, antwortete er mit G.B. Shaw: "Wer's kann, der tut's; wer's nicht kann, der lehrt's." Schräg, aber selbstbestimmt kommt Rowohlt mit seinen Aussagen und Ansichten rüber, egal ob zu Kirche, politisch Andersdenkenden oder anderen Literaten. Seine Meinung zählt, daran lässt er keinen Zweifel, und die anderen werden gerne einmal "durch den Kakao gezogen". Toleranz einfordern ist das eine, tolerant sein das andere.
Harry Rowohlt ist Hamburger und hat damit bereits grundsätzlich ein zumindest leicht gestörtes Verhältnis zu Bremen (das ist nicht nur im Fußball so zwischen dem HSV und Werder). "Zuerst kommt immer erst Hamburg, und dann kommt Hamburg noch einmal. Dann kommt lange Zeit gar nichts und was dann kommt, ist mir egal." Der Weser-Kurier schrieb einmal nach einer Lesung in Bremen: "Eine Stunde hätte auch genügt". Die angespannten Beziehungen scheinen folglich beidseitig zu sein ...
Höhepunkt der Veranstaltung war sicher die "unverlangte Zugabe", die Lesung von Jan Neumanns groteskem 1-Personen-Stück "Knolls Katzen", in dem Herr Wagner im Theatersaal kurz vor Vorstellungsbeginn per Handy zu klären versucht, wer in seiner Familie eigentlich in den vergangenen 4 Wochen die Nachbarskatzen gefüttert habe oder - wenn nicht - wie man diese entsorgen könne, bevor Familie Knoll wieder aus dem Urlaub zurückkäme.
Zu seiner Gesamteinstellung passt, dass Rowohlt die Verlage Springer, Bauer und Burda boykottiert. Per Vertrag hat er sich scheinbar versichern lassen, dass in Thalia-Buchhandlungen keine Büchertische mit "seinen" Werken aufgebaut werden dürfen, weil diese Kette seiner Meinung nach zu viele kleinere und spezialisierte Buchläden kaputt gemacht habe. In Pfaffenhofen jedoch gibt es seine Werke jedoch sehr wohl zu kaufen, und zwar in "Buch und Büro Pesch, Am Hauptplatz 19", wie er oft genug bei dieser "Lesung mit Gelegenheit zur Teilnahme an einer Verkaufsveranstaltung" betonte.
Kommentare
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.