Wirtschaftsschule gestorben
(Manching, wk)
Sitzungen des Kreistages sind in der Regel nicht aufregend, da die meisten Themen für Eingeweihte bereits im Kreisausschuss oder in den anderen Ausschüssen vorbehandelt wurden. Doch heute stand zur Information der Bericht über die Gründung einer Wirtschaftsschule im Landkreis auf der Tagesordnung. Aufgekommen war das Thema im letzten Jahr, als die Freien Wähler dieses Thema in den Koalitionsvertrag mit der CSU aufgenommen haben wollten.
Neben der Sitzungsvorlage des Landrates und der Verwaltung war Kreistagsmitglied und der stellvertretende Leiter des staatlichen Schulamtes, Josef Steinberger (AUL) gebeten, wegen möglicher Auswirkungen der Gründung einer Wirtschaftsschule auf den Bestand der Mittelschulen im Landkreisgebiet zu erläutern.
Landrat Martin Wolf (CSU) und Walter Reisinger (Abteilungsleiter in der Kreisverwaltung) informierten über den Sachstand. Es hatten gemeinsame Gespräche mit der Fachverwaltung des Kultusministeriums gegeben mit dem Ergebnis, dass eine Wirtschaftsschule nur in Kooperation mit einer Mittelschule (früher Hauptschule) möglich sei. Der Lehrerstamm würde sich aus der Mittelschule und für die naturwissenschaftlichen Fächer aus der Berufsschule Pfaffenhofen speisen. Neben Allgemeinbildung soll kaufmännisches Wissen vermittelt und in Übungsfirmen vertieft werden. Abgeschlossen wird die Wirtschaftsschule mit der Mittleren Reife, wobei drei verschiedene Modelle der Wirtschaftsschule möglich sind: Jahrgangsstufen 7 bis 10; Jahrgangsstufen 8 bis 10; Jahrgangsstufen 10 bis 11, letztere wendet sich in erster Linie an Mittelschüler mit Quali-Abschluss, die nicht den M-Zug der Mittelschule besucht hatten.
Zum Schuljahr 2014/15 besuchten 232 Schüler aus dem Landkreis Wirtschaftsschulen außerhalb des Landkreises (davon 194 nach Ingolstadt). Das war damals auch der Aufhänger für die Freien Wähler, eine eigene Wirtschaftsschule für den Landkreis zu fordern um zu verhindern, dass Landkreiskinder in überwiegend private Wirtschaftsschulen auspendeln. Die Freien Wähler wollten eine für die Eltern kostenlose, staatliche Schule. In den Koalitionsvertrag wurde deshalb im letzten Jahr ein Prüfauftrag zu diesem Thema aufgenommen.
Der stellvertretende Schulamtsleiter Jakob Steinberger ging auf die Schulsituation anhand der ihm vorliegenden Zahlen im Landkreis ein und erläuterte, dass die Zugangsvoraussetzungen zum M-Zug der Mittelschule die gleichen seien, wie die für eine Wirtschaftsschule und das Schülerpotential für beide Schulformen das gleiche sei. Eine Wirtschaftsschule würde somit die Schüler absaugen, die auch für den M-Zug der Mittelschule geeignet seien. Als Beispiel führte Steinberger die Mittelschule Rohrbach an, die bis zur 7. Klasse mit 33 Schülern zweizügig sei, danach reduzieren sich die Schülerzahlen durch Übertritte auf nur noch einen Zug. Ähnlich sieht es in Wolnzach aus und in Schweitenkirchen ist die Mittelschule ohnehin schon ab der 5. Klasse nur noch einzügig. Die Grundschulen hätten in den letzten 10 Jahren einen Schülerrückgang von 25 Prozent und die Mittelschulen einen Rückgang von 33 Prozent gehabt (gesamt rund 1.500 Schüler) und der Trend werde sich fortsetzen, wobei unklar sei, wie sich die Situation durch Flüchtlingskinder entwickle. Der Rückgang der Schülerzahlen an Mittelschulen werde demographisch und durch Übertritte bedingt weiter sinken. Die Übertrittsquote von der Mittelschule hat sich seit 2012/13 von 64,2 Prozent auf 66,7 Prozent in 2015/16 erhöht. Bei Einführung einer Wirtschaftsschule würden einige Mittelschulen ausbluten, wie beim Paartal-Schulverbund Hohenwart/Reichertshofen zu befürchten sei. Steinberger ganz klar: „Wo ein Schulangebot gemacht wird, haben wir Abwanderung“. Er plädierte für die Stärkung der Mittelschulen, da deren Lehrer die beste pädagogische Ausbildung in Bayern hätten im Vergleich zu beispielsweise Gymnasiallehrer mit einer überwiegenden Fachausbildung. Und die Mittelschüler seien die späteren Fachleute in Handwerk und Industrie. Steinberger kenne persönlich allein 20 Menschen, die noch nicht mal den Mittelschulabschluss gemacht hätten und trotzdem selbständige Handwerksmeister und durch Weiterbildung sogar Ingenieure geworden seien. Es gäbe also genug Wege nach oben über FOS, BOS, Techniker und Meisterschulen.
Von Landrat Martin Wolf kam abschließend der Vorschlag, keine weiteren Aktionen in Richtung Wirtschaftsschule mehr zu starten, da eine Wirtschaftsschule zwingend nicht erforderlich sei, eine ortsnahe Beschulung nicht gefährdet werden soll und bei einer neuen Wirtschaftsschule schon nach 2 Jahren ein Neubau erforderlich sei und Räume in Mittelschulen leer stehen würden. Er war aber offen, falls sich aus den Fraktionen ein offizieller Antrag für die Errichtung einer Wirtschaftsschule kommen sollte. Der Punkt müsse dann im Kreistag beschlossen werden.
Nicht ganz einverstanden zeigte sich Fraktionssprecher Max Hechinger (FW), Er betont, dass seine Partei aufgrund politischer Überlegungen auf das Thema Wirtschaftsschule gekommen sei, weil es im Landkreis keine Wirtschaftsschule gebe. Von den 232 auspendelnden Schüler wollten die Freien Wähler viele für eine Wirtschaftsschule im Landkreis gewinnen – zurückholen oder umleiten. Der Landkreis habe die Pflicht, ein kostenloses Angebot zu machen und man solle Wirtschafts- und Mittelschule nicht gegeneinander ausspielen. Und er versteh Rohrbach nicht, die eine Wirtschaftsschule ablehnten und sich damit die Chance nehmen würden, ihren Schulstandort zu stärken. SPD-Sprecher Marin Schmid konstatierte, dass die SPD-Fraktion schon im Juli letzten Jahres gefordert hatte, Zahlen auf den Tisch zu legen und legte Max Hechinger ans Herz „Einsicht ist die beste Weitsicht“. Albert Gürtner (FW) und 2. Bürgermeister in Pfaffenhofen betonte, dass es für den Kreis ein Armutszeugnis sei, auf der einen Seite Bildungsregion in Bayern“ sein zu wollen und andererseits eine Wirtschaftsschule abzulehnen. Martin Wolf ergänzte, dass nach Kenntnis des Kultusministeriums bayernweit die Anzahl der Wirtschaftsschüler um 16 Prozent zurückgehe. Und Kerstin Schnapp (Grüne) forderte, die Energie, die man in die Gründung einer Wirtschaftsschule investiere doch lieber ins Image der Mittelschulen zu stecken. Das konnte Werner Hammerschmid (SPD) nur unterstützen, doch er fragte sich, wie das denn gehen solle. Und von Thomas Herker (SPD), Bürgermeister von Pfaffenhofen kam die Anregung, doch einmal darüber nachzudenken, wie man die Schule insgesamt reformieren könne, denn die Eltern wollten die beste Schulversorgung für ihre Kinder.
Kommentar: Viel war schon vorher klar und bei genauerer Überlegung, ohne im Detail die Zahlen zu kennen, war der Vorstoß der Freien Wähler ein Wahlkampfluftballon. Interessant dürfte jetzt werden, wie die CSU reagiert, wenn die Freien Wähler in einer der nächsten Sitzungen ihren Antrag auf Einrichttung einer Wirtschaftsschule wirklich einbringen sollten. Nach der heutigen Situationsdarstellung müsste die CSU diesen Antrag ablehnen - ob dann die Koalition zerbrechen und die CSU ihre Mehrheit im Kreistag verlieren würde? Wir werden sehen.
Kommentare
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.