Auf der Suche nach dem verlorenen Geschmack
(Langenbruck, rt)Ob murmelklein oder kinderballgroß, grün, rot oder gar violett - Jakob Lang liebt sie alle; doch in die Jahre gekommen müssen sie sein: alte Tomatensorten. Für das kulinarische Paradies braucht der 66-Jährige hinter seinem Haus im Reichertshofener Ortsteil Langenbruck nicht viel Platz. Lediglich überdacht wollen es die Pflanzen gerne, viel Sonne tanken und pfleglich behandelt werden wollen sie.
Auf alte Tomatensorten gekommen ist Lang vor 15 Jahren, „weil sie besser schmecken.“ Seither verwandeln sich seine Gewächshäuser, 18 und ein weiteres sechs Quadratmeter messend, dazu ein offener Tunnel, der nur acht Quadratmeter hat, innerhalb von wenigen Woche alljährlich erst in ein blühendes, später dann sozusagen essbares Paradies.
Mehr als 600 Jungpflanzen seltener Tomatensorten zieht der Hobby-Gärtner zusammen mit seiner Lebensgefährtin Emma Credet alljährlich groß. Ein ganzes Zimmer gehört dann zum Reich der jugendlichen Grünpflanzen. Lang, jetzt Rentner und früher Filialleiter einer Bekleidungsfirma in Ingolstadt, widmet sich mit Hingabe seinen Lieblingen. Sie tragen für Tomaten so exotisch klingende Namen wie „Feuerwerk“, „Tschernomor“ oder „Black Cherry“ und wuchern förmlich unter Glas oder Folie.
„Was heute in den Großmärkten verkauft wird, hat eigentlich geschmacklich mit Tomaten nicht mehr viel zu tun; doch einige Gärtner sind bereits auf einem guten Weg“, sagt Lang. Es würden immer mehr Leute, die auf den guten Geschmack kommen und sich alten Tomatensorten zuwenden. So lässt sich’s auch besser tauschen. Samen oder Pflänzchen machen dann im näheren Umkreis die Runde. Die erstaunliche Vielfalt der Aromen sei den Pflanzen im Verlauf der Massenzüchtungen abhandengekommen, bedauert Lang eine Entwicklung, die nicht nur ihm Sorge bereitet. Alte Sorten seien halt, sobald sie reif sind, in der Regel nicht so lange haltbar. „Und auch nicht so grifffest, wegen ihrer dünnen Schale.“ All das eben, was man im Großmarkt nicht brauchen könne.
Bereits seit Anfang April sind die pikierten Tomaten schon in den Gewächshäusern. In aller Ruhe gedeihen sie dort, um voll ausgewachsen als nicht mal murmelgroße „Johannisbeer-Tomaten“ oder mehr als männerfaustgroßen Ochsenherzen geerntet zu werden. Nach mehreren Wochen haben die Pflanzen tiefe Wurzeln ausgebildet und reichen bis zu einer Tiefe von 1,80 Metern hinab. „Ich gieße selten, die Tomaten versorgen sich nach ihrer Einwurzelung dann selbst mit Wasser, sie müssen es sich selbst suchen.“ Natürlich würden die Pflanzen kurz nach dem Einpflanzen noch öfters gegossen. "Wenn die Blätter am Morgen nicht hängen, haben die Pflanze noch ausreichend Feuchtigkeit", weiß Lang.
Neben dem durchaus farbenfrohen Spektrum der Früchte ist die geschmackliche Vielfalt ein Genuss für Zunge und Gaumen! Mehrmals im Jahr sitz die Familie zur Tomatenverkostung beieinander. „In den letzten 50 Jahren gerieten 80 Prozent der Kulturpflanzen in Vergessenheit, weil sie einfach nicht mehr angebaut worden sind. Das könnten uns spätere Generationen einmal vorwerfen, wenn es kaum noch Vielfalt gibt.“ In Europas handle man mit einer Handvoll Hybridsorten obwohl es weltweit 10.000 Tomatensorten gebe, „von der praktisch jede anders schmeckt." Lang ist einer von immer mehr werdenden Gegnern der EU-Saatgutverordnung, die, einfach gesagt, alte Sorten komplett verbieten will. „Nur noch von der Samenlobby ausgesuchte Sorten dürfen demnach gehandelt werden. Die Händler weichen darauf aus, ihre Tomaten als Zierpflanze zu verkaufen, weil sie laut EU nicht gehandelt werden dürfen. Dagegen muss man sich wehren.“ Züchtung die sich nicht mehr vermehren können, das gehe gar nicht.
Lang hat sich im Laufe der Jahre mit viel Fachliteratur eingedeckt. Darin ist zu lesen, dass die Tomate ist ein Nachtschattengewächs ist, unter anderem verwandt mit der Kartoffel, der Tollkirsche und dem Tabak. Ihren Namen erhielt sie im 19. Jahrhundert und der leitet sich von „xitomatl“ ab, ein Wort aus dem Sprachschatz der Azteken. In Mittel- und Südamerika finden sich nämlich die wildwachsenden Formen.
Das Zuchtprogramm selbst ist eigentlich recht einfach. Anfänger könnten grundsätzlich keine Fehler machen, meint Lang und rät zu „guter Aussaaterde, kein Kunstdünger und nach dem Umtopfen normale Erde mit Kompost.“ Den Boden um die Pflanzen mulcht der Freizeitgärtner mit Hackschnitzel, um die Wasserverdunstung zu minimieren.
Im Durchschnitt 10 bis 50 Samen befinden sich in einer Tomate. Die Kräftigsten darunter werden einfach einzeln mit einem Löffelstiel herausgepult und anschließend getrocknet. „Nicht direkt in der Sonne, sonst verbrennen sie“, warnt Lang. Danach sind die Samen 30 bis 40 Jahre haltbar, tiefgekühlt sind sie es unbegrenzt. In akribisch genau beschrifteten Kaffeefiltern verwahrt Lang sie auf sie. Das habe sich bewährt, denn darin sei es dunkel und die Samen klebten daran nicht fest.
Besonders freut sich Lang in jeder Saison auf die die köstlich schmeckende „Rote Johannisbeere“. Diese kleinste aller bekannten Tomaten trägt im Sommer pro Pflanze bis zu 6.000 Früchte und ihre Samen werden seit Mitte des 16. Jahrhunderts Jahren kultiviert und weitergegeben. Im August und September ist dann Haupterntezeit, wenn es sich um ein gutes Tomatenjahr mit vielen warmen und sonnigen Tagen handelt. Tomaten sind sehr gesund, weil sie reich an verschiedenen Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sind.
„Was unsere Besucher bei den Genuss-Stunden am meisten fasziniert, dass die verschiedenen Sorten geschmacklich so unterschiedlich sind.“ Seine Begeisterung für Tomaten teilen seine drei erwachsenen Kinder nebst vier Enkeln – „die sind ganz narrisch drauf“- zwar, doch um selbst welche anzubauen, dafür fehlt ihnen die Zeit. Lang verschenkt aber auch viele seiner Tomaten-Raritäten vorgezogen als kleine Pflänzchen an Bekannten, Freunde und Angehörige. Dass einige der Früchte Risse oder Narben haben spiele keine Rolle. "Im Supermarkt würde solche vermutlich keiner kaufen", meint Lang. Aber sein Obst - Tomaten sind botanisch betrachtet nämlich kein Gemüse, sondern zählen zu den Beerenfrüchten – schmeckt dafür um Längen besser. Für lange Transportwege oder Lagerungen brauchen sie sich ja nicht eignen.
Fotos: Jakob Lang (3), Alfred Raths (15)
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