Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung
(Rohrbach, hr)Wenn derzeit über Europa gesprochen wird, dann legt sich so manche Stirn in Falten. Flüchtlingskrise, Eurokrise und auch noch der Brexit geben all jenen, die der Union mehr als skeptisch gegenüber eingestellt sind, Nährboden. Für Bernd Posselt, einen jahrelangen Streiter für die europäische Einigung, ein Grund um so mehr für diesen Prozess zu kämpfen.
Eigentlich ist der CSUler seit zwei Jahren kein Parlamentarier mehr und könnte sich nach 20 Jahren in Straßburg und Brüssel zur Ruhe setzen, doch Europa ist für ihn mehr als nur die gemeinsamen Verträge, mehr als nur eine Ansammlung von Staaten, für ihn ist die EU auch ein Sinnbild des Friedens. Es sind Einblicke in das Leben, aber viel mehr in die Gedanken eines Politikers, die man sonst nur selten erhält. Gerade das machte dieses Schlossgespräch in Rohrbach zu einem ganz besonderen.
Klar, es war ein politisches – die Themen der EU sind per se politisch – aber es war eben nicht parteipolitisch. Natürlich thematisierte Posselt auch die aktuellen politischen Probleme und Verwerfungen, doch für ihn stand und steht Europa als Gesamtprojekt im Vordergrund. Im Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Erich Irlstofer, aber auch mit zahlreichen Rohrbachern, die den Weg ins Schloss gefunden haben, erläuterte er nicht nur seine Motivation für Europa zu kämpfen, sondern gewährte eben auch Einblicke in eine Zeit, in der die Worte Unterdrückung und Krieg noch eine ganz andere Bedeutung hatten.
„Für mich endete Europa nicht am ‚eisernen Vorhang‘“, so Posselt und er berichtete nicht nur, wie er sich als junger Journalist in der Paneuropa-Bewegung engagierte, sondern auch darüber, wie aktiv die Bürgerrechtsbewegungen in den Staaten des Ostblocks unterstützt wurden. „Wir haben damals regelmäßig Bücher und Zeitungen in diese Länder geschmuggelt und damit auch die demokratische Bewegung gestärkt.“ Ob Tschechien, Ungarn, oder auch nach Polen, Posselt hatte bereits noch vor dem Fall der Berliner Mauer einen intensiven Kontakt zu den dortigen demokratischen Kräften. Ein Bild, das er selbst aber wohl nie vergessen wird, ist der 4. Oktober 1989.
Es war etwa einen Monat vor dem eigentlichen Mauerfall, der jetzige Bundestagsabgeordnete Erich Irlstofer war zu jener Zeit gerade mit den ersten Fahrstunden befasst, da hat Bernd Posselt in Berlin am Bundeskongress der Paneuropaunion teilgenommen. „Wir haben vor dem Reichstag eine Messe für die Opfer an der Mauer gehalten. Über uns schwebten sowjetische Hubschrauber und westliche linke Aktivisten versuchten diesen Gottesdienst zu stören, während drei Kilometer weiter rund eine Million Menschen auf dem Alexanderplatz gegen das dortige Regime auf die Straße gingen“, so Posselt. In diesem Augenblick war für ihn klar, der „eiserne Vorhang“ wird fallen und das ist nur noch eine Sache von Tagen.
Die daraus resultierende Chance für die Wiedervereinigung beurteilt er auch im Nachhinein eindeutig. „Für einen kurzen Augenblick gab es diese Möglichkeit und man hat sie ergriffen. Unter den heutigen Umständen wäre dies undenkbar.“ Dass im Zuge der Wiedervereinigung auch Fehler gemacht wurden, räumte der Politiker durchaus selbstkritisch ein. Vor allem die politische Bildung und der damit verbundene Aufbau der Demokratie sei dort vernachlässigt worden und gerade mit diesem mangelhaften demokratischen Fundament hat man aus seiner Sicht heute mehr denn je zu kämpfen. Posselt sprach damit direkt die auch in Deutschland mittlerweile stark auftretenden antieuropäischen und nationalistischen Bewegungen an.
Einen direkten Blick warf der Politiker dabei nach Russland. Posselt – einer von insgesamt 87 Parlamentariern, die nach wie vor mit einem Einreiseverbot belegt sind – vermutet hinter dem Erstarken der antieuropäischen Kräfte auch in Deutschland den Kreml und geht davon aus, dass von dort gezielt versucht wird die EU zu destabilisieren. Vor allem in Sache der Ukraine findet er deutliche Worte: „Russland hat die Grenzen dieses Landes mehrmals anerkannt“, so Posselt und betonte auch, dass man seitens der Nato und der EU äußerst vorsichtig im Umgang mit den Ukrainern war, obwohl es dort Beitrittsbestrebungen gab. „Wir haben ihnen praktisch den Stuhl vor die Tür gesetzt!“ Auch die Assoziierungsverhandlungen wurden, so seine Aussage, in Abstimmung mit Russland geführt und letztlich ist dies auch am Kreml gescheitert.
Die Frage, die sich in diesen Tagen nicht nur Bernd Posselt und Erich Irlstofer immer häufiger stellen, ist: „Wo steuert die Europäische Union nach den ganzen Krisen hin?“ Hat der Brexit – der Austritt Großbritanniens das Ende dieser Einheit ausgelöst, oder wächst man in Zeiten der Krise stärker zusammen? „Europa ist nicht die Krankheit, sondern die Lösung“, so die einfache und doch etwas plakative Aussage des CSUlers. Für ihn führt an einer noch engeren Verzahnung der Politik kein Weg vorbei. Dass dies gerade auf der europäischen Ebene alles andere als leicht ist, und dass es am Ende auch Krisen braucht, damit sich etwas bewegt, zeigt die gesamte Situation um die europäische Grenzschutzeinheit Frontex. Rund 750 Beamten sind derzeit dafür abgestellt die Außengrenzen zu sichern. Erst die Flüchtlingskrise und zahlreiche Sitzungen haben nun auch die Mitgliedsstaaten dazu bewogen einer Aufstockung um 1500 Mann zuzustimmen. Für Posselt, der den Aufbau dieser Einheit schon vor vielen Jahren gefordert hat, ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. „Wir können den Grenzschutz eben nicht einzig und allein auf die Staaten an der Peripherie abladen“, so seine Einschätzung. Dass man in diesem Punkt nicht schon weiter ist, das liegt aus seiner Sicht auch viel am „Nationalstolz“. Egoismen und einzelstaatliche Interessen stehen vielen Projekten oft im Weg.
Bei aller Kritik, die derzeit an Europa laut wird, sieht es Erich Irlstofer als größte Aufgabe in den kommenden Monaten für die europäische Idee nicht nur zu werben, sondern auch die Bevölkerung von Europa zu überzeugen.
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