Soziale Ungleichheit: „Die SPD braucht eine klare Haltung“
(Pfaffenhofen, ls)Andreas Mehltretter stellt sich im September als Direktkandidat für die SPD zur Wahl. Ein ambitioniertes Ziel für den 26-jährigen Master-Studenten, der im Zuge dessen für einen sozialeren Kurs seiner Partei eintritt. Schützenhilfe erhielt er am gestrigen Abend von Alexander Hagelüken. Der Wirtschaftsjournalist der Süddeutschen Zeitung gab eine Kostprobe seines Buches „Das gespaltene Land“ zum Besten und löste bei seinen Zuhörern eine beherzte Diskussion aus, die sich nicht zuletzt auch um die Rolle der deutschen Sozialdemokraten drehte.
„Armut ist eine Frage der Perspektive“, erklärt Mehltretter eingangs. Natürliche gehe es einem großen Teil der Menschen in Deutschland gut. Trotzdem ist für viele andere das tägliche Leben gerade so finanzierbar, das oft als Allheilmittel gepriesene Eigenheim ist in weiter Ferne. Für Mehltretter ist das große Versprechen der Chancengleichheit eine Legende, die sich vor allem bei der Bildung abzeichnet. Oder anders ausgedrückt: Es geht nicht richtig schlecht, aber so gut wie den oberen zehn Prozent noch lange nicht. „Es darf nicht sein, dass die Mehrheit im Land nichts vom Reichtum mitbekommt“, so der Volkswirtschaftler.
Als Korrespondent in Bonn und Berlin hatte Hagelüken die Arbeit der Regierungen Kohl, Schröder und Merkel genau im Blick. Seine primäre Beobachtung ist erschreckend. Es wäre sichtbar, dass seit dem zweiten Weltkrieg die Bemühungen der Regierungen in Richtung Gleichheit gingen. Mit Thatchers und Reagens neoliberaler Revolution änderte sich dann aber vieles, auch in Deutschland. Die Verteilung des Wohlstandes in der Welt konzentriert sich seither mehr und mehr auf einige wenige. Ein Thema mit politischer Sprengkraft – auch für ein konservativ geprägtes Land wie die Bundesrepublik, findet Hagelüken. In den USA haben die sozial Abgehängten aus diesem Grund im vergangenen Jahr eine populistische Wahl getroffen, mit der so richtig wohl keiner rechnen wollte.
Die Beispiele, die Hagelüken für diese Entwicklung in seinem Buch anbringt, sind einleuchtend, nicht zuletzt zwang er die Zuhörer aus ihrer Komfortzone. Er erzählt vom Rheinland-Pfälzischen Pirmasens, eine einst florierende Stadt mit einer der höchsten Millionärsdichten Deutschlands. Mit Schuhen hat man dort sein Geld verdient – diese werden nun aber in Italien produziert. 90 Prozent der Arbeitsplätze gingen verloren, jedes 3. Kind unter 15 Jahren empfängt Hartz IV. Dagegen stellt er die Gemeinde Berg am Starnbergersee, wo man gut und gerne knapp 8 Millionen Euro für eine Immobilie auf den Tisch legt und das zur Schau gestellte Luxusleben vom Selbstverständnis der Bewohner zeugt. Der eklatante Unterschied, den man nicht so recht wahrhaben will: Der durchschnittliche, männliche Starnberger wird 80 Jahre alt, ein Pirmasenser dagegen nur 72. Hagelüken: „Todesurteil: Zu wenig verdient.“
Sprengkraft war das Stichwort des Abends. Im Anschluss an die Lesung wurde viel diskutiert, im Zuge dessen wurden von Mehltretter auch einige Versäumnisse der eigenen Partei eingeräumt. Der Knackpunkt liegt für den Bundestagskandidaten beim Steuersystem. Alleine die geringen Sätze von Abgeltungs- und Erbschaftssteuer begünstigen die Entwicklung der sozialen Ungleichheit nur weiter. „Bei diesen Themen haben sich die Lobbys durchgesetzt“, pflichtet ihm Hagelücken bei.
„Das SPD-Wahlprogramm ist in diesen Belangen zu unkonkret“, räumte Mehltretter ein. Auch die Verantwortung der SPD bei vergangenen Steuer-Entscheidungen sah er kritisch. Der Grund dafür liegt für ihn in der teilweise stockenden Dynamik der großen Koalition. „Auch der explosive Wohnungsmarkt unserer Region ist eine Folge der bundesweiten sozialen Ungleichheit. Das ist bei uns so dramatisch, weil bei uns der Jobmarkt gut ist. Letztlich müssen sich die Regionen einfach wieder gleich entwickeln“, erklärt Mehltretter. Auch beim Thema Krankenversicherung zeigte der junge Sozialdemokrat Kante. „Es gibt kein Grund für ein zweigeteiltes System“, erklärte er. Die Bemühungen seiner Partei, ein gerechteres Beitragssystem zu schaffen, seien in der Vergangenheit oft untergegangen. Das aktuelle Wahlprogramm habe aber Lob verdient, da es klare Lösungen für eine bessere medizinische Allgemeinversorgung liefere.
Mehltretter zu Folge hat die SPD ihre Fehler der letzten Jahre erkannt. Sein erklärtes Ziel ist nach der angeregten Diskussion um das Thema soziale Ungleichheit, auf allen Ebenen dafür zu kämpfen, dass die SPD wieder der Gegenpol zum Neoliberalismus wird.
Vermerk: In einer vorherigen Version des Artikels wurde aus Versehen ein falscher Name verwendet. Dieses Versäumnis wurde nun korrigiert.
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