Jazz & Literatur in der Künstlerwerkstatt

Das All im Spiegel der Ilm

(Pfaffenhofen, as)

Es war keine gewöhnliche Lesung, die die drei Protagonisten Samstagsabend in der Künstlerwerkstatt abgeliefert haben: Eher sah sich das Publikum mit einem Live-Hörspiel konfrontiert. Dessen Textbasis ist der stream of consciousness von Roland Scheerers „Ilm Tagebüchern“, die im letzten Jahr erschienen sind.

Der 1974 geborene Autor - Träger des Bayerisch-schwäbischen Literaturpreises und Absolvent des renommierten Münchner Manuskriptum-Seminars - bewegt sich an der Ilm entlang, mal auf dem Fahrrad, mal zu Fuß, buchstäblich auf der Suche nach den Quellen. Das Ergebnis als „Heimatpoesie“ zu bezeichnen, könnte falsche Assoziationen wecken. Immerhin mutet Scheerer den Zuhörern neben Forschungshypothesen zur frührömischen Lyrik und botanischen Klassifikationen ("impatiens glandulifera") immer wieder kosmologische Entfernungsangaben zu; Grundkenntnisse in Zen-Buddhismus werden vorausgesetzt:

"das erlenblatt am grund der ilm ist immer noch es selbst / (...) noch immer hängt es hoch da oben in der welt der menschenworte fest / (...) wenn endlich etwas entstünde das keinen namen mehr hätte".Letztlich ist es die Fülle des Universums, die sich im heimatlichen Fluss spiegelt: "aufgehoben in sonnentransparenz / wanderten die partikel. wanderte die / himalayablüte. durchquerte den auf- / stiegsweg winziger blasen". Dass dies alles zum größeren Teil in den strengen, reimlosen Versformen der Antike daherkommt, kann das Publikum nicht erfassen. Braucht es auch nicht; der Vortrag erinnert ja eher an ein Happening der Beat-Poetry.

Und hier kommt nun die Band ins Spiel: Marie-Therese Daubner am Cello und Wolfgang Jung am Schlagzeug liefern einen Soundtrack, der den Text nicht untermalt, sondern zu höherer Ganzheit vervollständigt. Dieser zitiert zwar Blues und Bossanova, indische Raga und Debussysche Ganztonharmonien, bleibt aber doch ganz eigenständig und eigenwillig und widersteht der Versuchung, einzelne Textpassagen bloß zu illustrieren. Die Künstlerwerkstatt, nur wenige Schritte vom Fluss entfernt, war an diesem ersten Tag des Pfaffenhofener Kultursommers ganz Mittelpunkt des Universums und bis auf den allerletzten Platz gefüllt. Man könnte in mehrfacher Hinsicht sagen: ein Heimspiel.  

   

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