„Wir sind am Ende einer Sackgasse“
(Pfaffenhofen, rt)Landtagsabgeordneter Karl Straub in seinem Münchner Büro: "Wir sind am Ende einer Sackgasse." Archivbild: Raths
Weiterhin ungebrochen ist das Bemühen in der Bundesrepublik aber auch im Landkreis, die Flüchtlingskrise irgendwie in den Griff zu bekommen. Doch allmählich kristallisieren sich Problemfelder heraus, die offenbar von den diversen Entscheidungsträgern vielfach nicht erkannt, geleugnet oder gar verschwiegen wurden. Hallertau.info hat in diesem Zusammenhang die im Kreistag vertretenen Parteioberen zur Situation in der Region befragt.
Die Kommunen sind an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Kleinere Unterkunftseinheiten für Asylbewerber und Migranten sind auch in der Region nicht mehr zu finden, deshalb muss auf Ausweichquartiere wie etwa Zelte oder größere Gewerbegebäude ausgewichen werden. Turnhallen sollen zumindest im hiesigen Kreis nicht belegt werden. Noch nicht. Bei anerkannten Asylanten ist der Familiennachzug zu erwarten und meist sind jene auch Wohnungs-Fehlbeleger, die zwar in Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind, sich aber eigentlich eine eigene Wohnung suchen müssten. Verantwortlich für deren Unterbringung bleiben die Gemeinden in denen diese Menschen zuletzt wohnten. Selbst bei bestem Willen kann von den Kommunen nicht einmal mittelfristig so viel Wohnraum zur Verfügung gestellt werden, wie notwendig wäre. Eine Tatsache, deretwegen sich die der Landshuter FW-Landrat Peter Dreier zu der spektakulären Aktion hinreißen ließ und mit 31 anerkannten Asylanten nach Berlin zur Kanzlerin reiste, die ihn bekanntlich eiskalt abblitzen ließ.
Eine sogenannte europäische Lösung, wonach andere Staaten sich zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit erklären sollten, ist nicht in Sicht, eher im Gegenteil. Andererseits reißt der Zustrom von Asylbewerbern unterschiedlicher Ethnien nach Deutschland beziehungsweise Bayern und damit dem Landkreis nicht ab. Es ist ferner nicht zu erwarten, dass es in den Kriegsgebieten, aus denen Menschen flüchten, weder kurz- noch langfristig zu einem Frieden kommt. Die bayerische Landesregierung unter dem christsozialen Ministerpräsident Horst Seehofer propagiert derzeit einen Aufnahmestopp für Asylsuchende in Deutschland ab einer gewissen Schwellenzahl. Die Beschäftigung mit der Gesamtthematik belastet obendrauf die an und nach dem Silvesterabend begangenen Straftaten in Köln und anderen Städten in Deutschland und dem benachbarten Ausland, die nach den bisherigen Erkenntnissen der Polizei überwiegend von Migranten oder Asylbewerbern begangen wurden.
Politikerstimmen aus der Region
Unsere Zeitung nahm die aktuelle Situation zum Anlass, bei den Vorsitzenden der im Pfaffenhofener Kreistag vertretenen Parteien nachzufragen, wie sie vor diesem Hintergrund die gegenwärtige Lage beurteilen.
Dass Vorfälle wie in Köln auch im hiesigen Landkreis vorkommen könnten, damit rechnet FDP-Kreischef Thomas Stockmaier: „Die Gefahr ist sehr hoch und wird leider teilweise verharmlost!“ Eine Obergrenze für die Aufnahme von Asylberwerbern hält der FDPler für politischen Populismus. „Sie würde nur die illegale Einreise verstärken - das Chaos würde noch größer.“ Die Asylverfahren müssten seiner Meinung nach auch durch Dezentralisierung und mehr Personal beschleunigt werden. „In der Schweiz dauert ein Asylverfahren ein paar Tage, bei uns ein paar Monate oder gar Jahre. Eine Beschleunigung, ohne dabei die rechtsstaatlichen Grundsätze zu gefährden, ist möglich. Dann brauchen die Menschen die Möglichkeit, sich eine Arbeit suchen zu dürfen, sofern ihr Asylantrag berechtigt ist.“ Der Landkreis sollte die Gemeinden bei der Ausweisung entsprechender Sonder- oder Baugebiete unterstützen. „Die Bürokratie, die uns bei den Asylverfahren letztendlich auf die Füße fällt, sollte im Landratsamt hinten anstehen. Die Finanzierung ist durch die staatliche Förderung, aber auch durch die niedrigen Zinsen wohl für die meisten Landkreisgemeinden möglich.“ Dringend darauf geachtet werden sollte jedoch darauf, dass „die notleidenden Mitglieder unserer Bevölkerung nicht in Konkurrenz zu den Flüchtlingen geraten. Der soziale Wohnungsbau darf neben den Flüchtlingsherbergen nicht vernachlässigt werden."
Rechtsstaat aus den Angeln gehoben
Der christsoziale Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordneter Karl Straub weist darauf hin, dass er und der CSU-Bundestagsabgeordnete Erich Irlstorfer bereits vor eineinhalb Jahren nachdrücklich hingewiesen und vor einer derartigen Entwicklung gewarnt haben. „Und das tun wir auch heute noch.“ Derartige Vorkommnisse könnten durch eine Reduzierung der Zuwandererzahlen beeinflusst werden. „Wir kämpfen dafür, doch die CSU ist in Berlin zwar mit in der Regierungsverantwortung, aber doch eine Minderheit.“ Straub sehe es „skeptisch, dass es mittelfristig noch ausreichend viele Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Kurzfristig wird es besser, wenn die Landkreisgemeinden ihre Baupläne konkret umgesetzt haben, wenige Ausweichmöglichkeiten in Hallen sind noch als Option in der Hinterhand, im Notfall greifen wir wieder auf Zelte zurück, aber wir sehen ja, was dabei herauskommt.“ Als illusorisch bezeichnete es der Landtagsabgeordnete, dass „sofort Milliarden von Euro in den Wohnungsbau gesteckt und damit sofort begonnen wird. Sofort heißt, noch heute. Aber wer kann schon sagen, wann und ob überhaupt die Zuwanderung die kommenden Jahre ein Ende nimmt? Auf die Solidarität der europäischen Staaten, das ist offenkundig, kann sich Deutschland nicht verlassen. Wir sind am Ende der Sackgasse.“ Alle Länder winkten die Asylbewerber in die Bundesrepublik durch, „weil derzeit der demokratische Rechtsstaat durch die Bundeskanzlerin aus den Angeln gehoben worden ist.“
Straub fügt hinzu: „Mal schnell in Dach für über den Kopf besorgen, das schaffen wir durchaus, aber was kommt danach? Es warten dann schon wieder in die nächsten. In diesem Winter haben wir täglich etwa 4000 Neuankömmlinge während es im vergangenen Winter noch 1000 waren. Wenn man dann den vergangen Sommer mit 10000 hier angekommenen Asylbewerbern auf den kommenden Sommer entsprechend hochrechnet … Wohin soll uns das alles führen? Ich habe darauf keine Antwort, niemand hat darauf eine realistische Antwort.“
Kommende Woche werde sich in Wildbad Kreuth die CSU-Landtagsfraktion bei der Kanzlerin massiv dafür einsetzen, die Zahl der Zuwanderer zu begrenzen und ihr mit allen Mitteln verdeutlichen, dass es mit dieser hohen Zahl von Asylbewerbern nicht mehr zu schaffen sei. „Das Stimmungsbild in der Bevölkerung ist so schlecht wie nie zuvor. Die Ängste der Bürger vor der Zukunft in ihrer Heimat sind mit Händen greifbar.“
Drei-Prozent-Grenze
Ausschließen könne man Taten wie in Köln gänzlich sicherlich nicht, meint der AUL-Fraktionssprecher im Kreistag und Bürgermeister der Stadt Geisenfeld Christian Staudter. „Ich halte diese Vorfälle in dieser Dimension bei uns eher für unwahrscheinlich. Eine genau bezifferte Obergrenze kann ich nicht benennen, jedoch denke ich, dass eine Grenze bei drei Prozent der Einwohnerzahl des Landkreises erreicht sein könnte.“ Dringend nötig sei jetzt eine generelle Reduzierung der Flüchtlingsströme und mehr Solidarität unter den europäischen Ländern. „Die Kommunen tun alles, um ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Sollte sich die Situation allerdings nicht ändern, stößt unser dezentrales Unterbringungssystem an seine Grenzen und wir werden um zentrale Einrichtungen mit all den damit verbundenen Problemen nicht herumkommen, wobei ich die Belegung von Turnhallen grundsätzlich ausschließe“, sagt Staudter. Die Finanzierung dieses Problems sehe ich vor allem beim Bund und in geringerem Maße bei den Ländern. Auf keinen Fall bei den Kommunen, denn wir leben mit den Flüchtlingen vor Ort und müssen schon mit vielen Problemen, die nicht finanzieller Art sind, klar kommen.“
Infantile Sicht
Der Kreisvorsitzende der Pfaffenhofener SPD, Markus Käser, meint: „Das was in Köln und Hamburg geschah, ist ein übles Verbrechen, das hart bestraft werden muss. Aber deshalb eine Minderheit, deshalb alle Flüchtlinge unter Pauschalverdacht zu stellen?“ Die Täter müssten mit allen Mitteln des Rechtsstaates bestraft werden, ebenso müssten aber auch die Umstände des Kölner Polizei- beziehungsweise Politskandals aufgeklärt werden. „Die Bevölkerung hat ein Recht auf die Wahrheit.“ Grundsätzlich müsse man wegkommen „von einer infantilen schwarz-weiß Sicht“, keinen Generalverdacht, hegen aber auch nicht wegschauen. „Die Ereignisse sind sicher somit auch ein Warnschuss in Richtung der großen Herausforderungen zur kulturellen Integration. Und auch ein klarer Fingerzeig zur Stärkung unserer Sicherheitskräfte. Im Endeffekt brauchen wir keine schärferen Gesetze, sondern mehr Gesetzeshüter zur konsequenten Durchsetzung.“ Dass es im Landkreis zu ähnlichen "Sex-Mobs" wie in Köln kommt, kann sich Käser nicht vorstellen. „Von anzüglichen Sprüchen und Angrabschereien in Einzelfällen und von kleineren Gruppen wurde mir allerdings bereits persönlich berichtet. Darüber müssen wir reden und uns auch weiterhin untereinander austauschen. Wegschauen ist die schlechteste Lösung, Übergriffe sind sofort zur Anzeige bringen. Auch die Flüchtlinge sollten sich an der Meldung von Vorfällen beteiligen.“ Schutzsuchende müssten in Europa gerechter verteilt werden, so Käser. „Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen. Und Osteuropa kann sich nicht nur die Rosinen aus der EU picken. Wenn wir keine gemeinsame Lösung finden, ist die EU politisch tot.“
Nach Seehofers Obergrenzen-Forderung, deren Realisierung dieser selbst nicht erklären könne, leide die Glaubwürdigkeit der Politik, „da die offensichtliche Kluft zwischen Rhetorik und Handeln immer größer wird; derartige Einlassungen wie von Seehofer und Co. sollen nur Tatkraft simulieren.Flüchtlingsströme lassen sich nicht durch staatliche Alleingänge stoppen, sind der Weg zur Renationalisierung und könnten das Aus für die EU bedeuten.“ Die Bundesregierung müsse gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, „die für unser Land insgesamt zu einer Entlastung führen, ohne aber dabei die Errungenschaften der europäischen Gemeinschaft und unseren Wertekanon aufs Spiel zu setzen.“ Eine auch wirtschaftliche Frage sei, „wie wir Einwanderung in Zukunft regeln wollen.“ Dies und die humanitäre Herausforderung verbinde sich mit der von verstärkten Integrationsbemühungen. „Wir brauchen Ordnung und Personal in den Asyl-und Flüchtlingsverfahren. Europäische Solidarität bei der Verteilung von Schutzsuchenden und ein klares deutsches Einwanderungsgesetz mit dem wir gewünschte Zuwanderung steuern können.“
Ressourcen teilen werde ganz generell in Zukunft ein wesentlicher Lösungs-Baustein sein, meint Käser und sagt zur hiesigen Unterbringung von Asylbewerbern, dass „die Zeit der Provisorien mittelfristig“ vorbei sei. „Ich denke auch, wir werden generell etwas mehr zusammenrücken. Nicht nur wegen der Flüchtlingssituation. Ganz allgemein weil der Wachstumsdruck nun von zwei Seiten kommt – aus den Ballungsräumen und durch Flüchtlinge mit Bleiberecht. Wohnraum ist bereits knapp, die Mieten sind hoch.“ Für die Kosten, wie sie etwa für das „Camp“ in Rockolding entstünden, könnten auch feste Wohnbauten errichtet werden, die dann „dem sozialen Wohnungsbau zugeführt werden können und somit allen Bedürftigen zugute kommen.“ Käser weist darauf hin, dass sich ein Projekt der SPD mit der Vermittlung von WG-Zimmern und gemeinsamen Wohnraum befasse.
Hoffnung auf Sozialwohnungsbau
„Sexuelle Gewalt gibt es bedauerlicherweise überall, auch im Landkreis Pfaffenhofen“, sagt Kerstin Schnapp, Kreischefin der Grünen. Nach den Vorfällen in Köln sollte klar gestellt sein, dass sexuelle Übergriffe kein Kavaliersdelikt sind. „Ich halte es für eine positive Entwicklung unserer Gesellschaft, wenn Politiker wie Horst Seehofer, der 1997 noch der Meinung war eine Vergewaltigung in der Ehe sei keine Straftat, inzwischen klarstellen, wer übergriffig wird ist ein Krimineller.“
„Auf der einen Seite dreht es sich bei den Vorkommnissen an Silvester um Übergriffe von Männern auf Frauen, wie sie leider überall Tag für Tag vorkommen, auf der anderen Seite stehen wir vor dem Problem, dass viele Bürger das Gefühl haben, hier wurde seitens der Medien die Herkunft der Täter verschwiegen. Nun haben wir einen Pressekodex, der besagt, man benennt Herkunft der Täter nur, wenn es für den Fall relevant ist, um keine Vorurteile zu schüren.“
Es stelle sich die Frage, was zu tun sei, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge und auch das Tempo in dem sie bei uns ankommen, nicht reduziert. „Wenn das eintritt, dass weiterhin eine Million Menschen im Jahr zu uns fliehen, werden wir sehr schnell an dem Punkt sein, dass an Integration nicht mehr zu denken ist und wir maximal im Notfallmodus Zeltstädte errichten können um humanitäre Hilfe zu leisten. Ich habe jedoch die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich auf europäischer Ebene ein Weg finden lässt, die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, zu reduzieren und gleichzeitig, etwa durch Kontingentlösungen, eine Planbarkeit im zeitlichen Ablauf zu erreichen ist. Wenn das gegeben ist, wäre sozialer Wohnungsbau mit Unterstützung des Bundes die adäquate Möglichkeit die Menschen unterzubringen“, so Schnapp.
Grundgesetz zementiert Asylanspruch
Alle Straftäter, ob Einheimische oder Migranten, gehörten gleich behandelt, meint ÖDP-Kreisvorsitzender Ludwig Gaßner. „Es darf jedoch keine pauschale (Vor-)Verurteilung der Migranten geben. Primitiver Sexismus findet sich auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft.“ Aus Sicht der ÖDP sei das Flüchtlingsproblem primär mit der Beseitigung der Fluchtursachen anzugehen. Gaßner verweist dabei auch auf Deutschland als drittgrößten Waffenlieferant in der Welt. „Wegen des großen Einflusses der Waffenlobby auf unsere Politiker, haben wir uns erst im Dezember des letzten Jahres an den Stimmkreisabgeordneten Irlstorfer mit der Bitte um eine Stellungnahme gewandt; eine Antwort liegt uns bisher nicht vor.“ Mit der Beseitigung der Fluchtursachen könne nicht kurzfristig die Situation im Landkreis verbessert werden. Grundsätzlich befänden sich Deutschland und auch der Landkreis auf einem guten Weg dazu. „Ein Teil der Probleme ist auch dem geschuldet, dass die hohe Anzahl der Flüchtlinge uns überrascht hat; überraschend ist auch die Entsolidarisierung vieler europäischer Nachbarstaaten.“ Gaßner fordert deshalb von den maßgebenden Politikern die Einhaltung der Bestimmungen des Grundgesetze-Artikels 16. „Die Zusage des Grundgesetzes gilt für alle Flüchtlinge; eine Obergrenze ist nicht nur inhuman, sondern auch nicht verfassungsgemäß.“
(Anm. d. Red.: Auf entsprechende Anfragen unserer Zeitung zum Thema kam von den Freien Wählern leider keine Rückmeldung.)
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